Es ist eine der wichtigsten Kaderschmieden für Ingenieure, Architekten und Informatiker in Deutschland: die RWTH Aachen. Im Jahr 2020 wird die Exzellenzuniversität 150 Jahre alt. Als Geburtstagsgeschenk bekommt die Hochschule eine Baustelle der Zukunft und schaut damit nicht nur zurück, sondern vor allem nach vorn. Die Referenzbaustelle am Campus soll den Bau revolutionieren, indem sie neue Technologien unter realen Baustellenbedingungen erprobt. Ein Gespräch mit Dr. Sigrid Brell-Cokcan, einem der treibenden Köpfe hinter dem Projekt.
Sie war von Anfang an mit dabei. Als die Architektur sich digitalisierte und vor über 15 Jahren begann, mit Robotern zusammenzuarbeiten, war die Österreicherin Sigrid Brell-Cokcan einer der treibenden Kräfte auf diesem Weg und ganz vorne mit dabei.
Damals arbeitete sie noch als Architektin, zu Beginn ihrer Karriere auch für international anerkannte Büros wie Coop Himmelb(l)au oder Bollinger + Grohmann, und gestaltete Projekte mit wie das Kunsthaus Graz oder die BMW Welt in München. Als sie erkannte, dass Roboter im Bauwesen die Arbeit nicht nur erleichtern, sondern vieles überhaupt erst möglich machen, gründete sie 2010 den Verein „Robots in Architecture“. Es ist das international größte Kreativnetzwerk, das sich für den Einsatz von Industrierobotern in Architektur, Design und Kunst einsetzt.
Mittlerweile ist Brell-Cokcan an der RWTH Aachen und hat den Lehrstuhl für Individualisierte Bauproduktion inne. Die Verbindung zur Industrie hat sie dabei nicht verloren. Mit dem 2018 gegründeten Center Construction Robotics auf dem Campus der Hochschule erforscht sie gemeinsam mit ihren Studierenden, Doktoranden und europäischen Industriepartnern die neusten Technologien für den Bau. Im Februar 2020 landet sie mit ihren Kollegen einen weiteren Coup: Es fällt der Spatenstich für eine 10.000 Quadratmeter große Referenzbaustelle auf dem Campus unter freiem Himmel. Sie soll den Bau effizienter und nachhaltiger gestalten – unter Realbedingungen.
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Redshift: Frau Brell-Cokcan, der Gründer von Coop Himmelb(lau) und ihr ehemaliger Arbeitgeber Wolf D. Prix sagte vor vielen Jahren bereits: „Wenn die Autoindustrie genauso innovativ wäre wie die Bauindustrie, würden wir immer noch mit dem Pferdekarren fahren.“ Er träumte davon, Kräne durch Roboter zu ersetzen. Mit ihrer Referenzbaustelle scheinen Sie seinen Traum wahrzumachen. Was können wir von der Baustelle der Zukunft erwarten?
Sigrid Brell-Cokcan: Sie soll digital und vernetzt sein. Wir wollen Assistenzsysteme erforschen, die es den Menschen ermöglichen, sich bei ihrer Arbeit aufs Wesentliche konzentrieren zu können. Damit soll der Bau sicherer und innovativer und das Berufsbild attraktiver gemacht werden. Es wäre viel gewonnen, wenn man auf der Baustelle nicht mehr Dinge suchen muss – oft liegen Werkzeuge nicht dort, wo sie eigentlich sein sollen, Bauelemente werden falsch geliefert oder Materialien fehlen. Eine digitalisierte Logistik soll die Baustelle effizienter machen.
Außerdem würde ich mir wünschen, dass die Zulieferindustrie anderer Domänen das Potenzial der Bauindustrie erkennen würde. In Deutschland konzentrieren sich die Lieferanten hauptsächlich auf die Automobilbranche. Das Know-How ist aber transportierbar. Das zu erkennen, dabei soll die Referenzbaustelle helfen.
Auf der Referenzbaustelle arbeiten Sie mit namhaften Industriepartnern zusammen wie Porr, Liebherr Turmdrehkrane, Eiffage, Leonhard-Weiss, Hilti und Autodesk.
Die Industrie ist die Basis der Zusammenarbeit. Das Wissen aus Forschung und Wirtschaft können wir fabelhaft auf unserer Baustelle kombinieren – wie in einem lebendigen Reallabor. Damit ist es eine Win-Win-Situation für beide Seiten. Wir betreiben eine Art Crowdsourcing in Form von Wissen und fungieren damit als Accelerator für die Industrie.
Für die Industrie in Europa, richtig? Denken wir beispielsweise an Ihren Partner Eiffage, ein französisches Bauunternehmen.
Mit der Baustelle der Zukunft wollen wir Impulse für Europa setzen und Grenzen aufbrechen, auch europäische Grenzen. Das, was Europa im Bau stark macht, sind Prozesse und individuelle Lösungen. In den USA sind es Daten. In China die Produkte. Solange wir als Prozessinhaber in Europa die Entwicklung treiben und in der Lage sind, auf der Daten- und der Produkteseite Prozesse zu entwickeln, kann Europa stark sein.
Wie wollen Sie die Prozesse revolutionieren?
Erst einmal müssen wir uns den Informationsfluss im Bau anschauen – wie vernetzen sich die einzelnen Baubeteiligten? Hier gibt es noch viel zu viele Schwachstellen. Nur zehn Prozent der Daten von Baufirmen kommen auf der Baustelle an, bei Architekten sind es sogar nur ein Prozent. Daten werden mit Fax, E-Mail oder auf dem Papier ausgetauscht und viele Informationen bleiben dann auf der Strecke oder müssen neu erhoben werden. Das sind eklatante Brüche im System, weil die Baustelle einfach undigital ist. Mit Hilfe des BMBF geförderten Forschungsprojekts „Internet of Construction“ wollen wir herausfinden, welche Informationsflüsse digital erfolgen, welche Plattformen wir dafür nutzen und wie wir die Zusammenarbeit effizienter gestalten können.
Hilft Ihnen dabei Big Data?
Von Big Data halte ich relativ wenig. Wir sollten uns eher auf Smart Data konzentrieren und nur die Informationen sammeln, die auch relevant sind. Das spart Zeit und Plattformkapazität. Wir müssen die Prozesse schlanker gestalten. Das ist unser Ziel.
Das Construction Robotics Center ist Autodesk Technology Impact Partner. „Impact“ steht dabei u. a. für Nachhaltigkeit. Inwiefern wollen sie den Bau umweltschonender gestalten?
Baumaschinen verbrauchen bekanntermaßen recht viel CO₂. Das wollen wir in einem vom Maschinenbau geleiteten RWTH Konsortium reduzieren und können hier direkt auf die Grundlagenforschung aus dem Exzellenzcluster „The Fuel Science Center – Adaptive Umwandlungssysteme für erneuerbare Energie- und Kohlenstoffquelle“ für die Bauindustrie zurückgreifen. Wir erforschen außerdem, wie in Zukunft Baumaterialien Schadstoffe binden und wiederverwertet werden können, über den Lebenszyklus kontrolliert auf- und abgebaut werden und wie Circular Economy den Bau umweltschonender machen kann.
Wir haben schon von europäischen Grenzen gesprochen, die Sie mit der Baustelle der Zukunft aufbrechen wollen. Wie sieht es mit den Grenzen an der Hochschule aus?
An der RWTH Aachen haben wir 560 Professoren und 50 unterschiedliche Lehrstühle alleine im Bau. Oft ist es so, dass man Forschungsanträge schreibt und gar nicht weiß, an was der Kollege und Nachbar eigentlich forscht. Die Referenzbaustelle soll dabei als Informations- und Austauschplattform dienen.
Sie bringen also verschiedene Lehrstühle auf der Baustelle zusammen?
Genau so ist es – wir wollen die Grenzen der Fakultäten aufbrechen. Das ist auch der Hintergrund des neuen englischsprachigen „Master of Construction & Robotics“, der Bachelorstudierende aus vier Fachrichtungen zusammenbringt: dem Maschinenbau, der Informatik, dem Bauingenieurwesen und der Architektur. Er beginnt in diesem Sommersemester. Die Referenzbaustelle wird dabei das Experimentierfeld der Studierenden sein. Perspektivisch soll der Master ein neues Berufsbild für die Digitalisierung des Baus etablieren.
Wie wird der Beruf dann heißen?
Das wird sich in der Praxis zeigen. Vielleicht Construction Robotics Engineer oder Digital Construction Engineer.
Und was bedeutet das dann für den Beruf des Architekten?
Die Arbeitsweise klassischer Berufe wie der Architekt oder der Ingenieur wird sich im Zuge der Digitalisierung transformieren. Architekten und Ingenieure waren immer Erfinder und das ist der Anspruch, den wir für unsere digitale Baukultur zurückgewinnen wollen.
Denken Sie, das wird den Architekten gefallen?
Wir gehen davon aus, dass sich in den nächsten zehn bis 20 Jahren das gesamte Bauwesen disruptiv ändert. Da die Maschine „demokratisch“ ist, wird jeder in der Lage sein, bauen zu können. Wir wollen die Maschine so einfach wie möglich gestalten – wie ein Smartphone, das jeder bedienen kann. Das wird auch positive Auswirkungen auf den schöpferischen Akt des Architekten haben.
Durch die Automatisierung der Bauprozesse soll also der Mensch kreativer werden?
Ganz klar: ja. Das kreative Potenzial der Baubeteiligten binden wir in unsere Forschung mit ein. Die Maschine ist unser Werkzeug. Sie gibt uns Freiräume für unsere Kreativität. Dabei ist die Technologie wie ein Schlüssel, den wir an die Hand geben: Und dann schauen wir, was der kreative Geist damit schafft. Deshalb ist es so wichtig, dass wir als Architekten die Automatisierungsprozesse am Bau federführend mitgestalten. Wir wollen nicht Getriebener, sondern Treiber sein.
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Redshift, einer Autodesk-Publikation, um Designer, Ingenieure, Architekten und Hersteller zu inspirieren. Haben Sie Lust auf mehr Inhalt? Abonnieren Sie den Redshift-Newsletter.