Immer mehr Engineering-Unternehmen arbeiten an einer digitalen Strategie. Aus diesem Grund wurde ein neuer Ausdruck in das Infrastruktur-Lexikon aufgenommen, der Fachleute aus Engineering, Architektur und Bauwesen betrifft, ebenso wie die Eigentümer von Infrastrukturanlagen. „Going digital“ ist der neue Ausdruck. Er bezieht sich auf die Unternehmenstransformation, die stattfindet, wenn Infrastruktur-Fachleute von einer verbundenen Datenumgebung profitieren, indem sie eine Cloud-Computing-Plattform nutzen, die Menschen, Prozesse, Daten und Technologie digital verbindet und zusammenführt, um maßgebliche Vorteile zu erzielen. Im weitesten Sinne bedeutet Going digital, dass Daten verfügbar werden, die bisher in anwendungsspezifischen Dateien gespeichert oder ausschließlich in Papierform existiert haben. Die Daten aus diesen Dateien und Dokumenten werden verfügbar gemacht, damit sie von anderen Computerprogrammen und Verarbeitungsverfahren gebraucht und analysiert werden können. Durch Going digital können digitale 3D-Engineeringmodelle, die während der Planungs- und Entwurfsphase erstellt wurden, eine interaktive 3D-Umgebung für die Leistungsmodellierung von Betriebs- und Infrastrukturanlagen bereitstellen. Dazu werden Cloud-Computing, eine prädiktive Analyse sowie Betriebsdaten aus dem Industrial Internet of Things und andere Quellen genutzt. Der Zugriff auf diese Modelle ist jetzt während des gesamten Lebenszyklus einer Infrastrukturanlage möglich – und verbessert somit Leistung, Sicherheit und Nachhaltigkeit.
Aber was passiert mit den Infrastrukturanlagen, für die es kein digitales Engineering-Modell gibt? Eine neue und attraktive Technologie, die sogenannte Realitätsmodellierung – der Prozess, vorhandene Einrichtungen und Standortbedingungen unter Verwendung digitaler Fotos und/oder Punktewolkendaten zu erfassen – ermöglicht die schnelle Erstellung einer für das Engineering geeigneten 3D-Rasterdarstellung der vorhandenen Bedingungen, wie sie während des Betriebs vorliegen. Der Prozess ist einfach: Mit einer manuell geführten oder an einer Drohne montierten Kamera werden überlappende Fotos aufgenommen und in einen Cloud-Verarbeitungsdienst hochgeladen, der automatisch das 3D-Modell für die Verwendung in Engineering-Anwendungen rekonstruiert. Weitere Details und Präzision können dem Modell durch Bereichsfotos oder Punktewolkendaten von Laserscannern hinzugefügt werden. In den vergangenen zwei Jahren ist die Realitätsmodellierung von einem sehr speziellen Service zu einer Mainstream-Anwendung für Engineering- und Bauunternehmen geworden, ebenso wie für die Eigentümer und Betreiber von Infrastrukturanlagen. Die Geschwindigkeit und die Einfachheit der Realitätsmodellierung ermöglicht es heute, nahezu ununterbrochen Vermessungen durchzuführen, um den Baufortschritt und Betriebsbedingungen zu überwachen. Die resultierenden 3D-Modellkomponenten können in Kategorien eingeteilt und mit Engineering-Modellen, Dokumenten und Spezifikationen verlinkt werden (ET oder Engineering-Technologie), mit historischen Betriebsdaten (IT oder Informationstechnologie) und mit IoT-Echtzeitsensoren (OT oder Betriebstechnologie). Durch Going digital kann das digitale Engineering-Modell – egal, ob mit einer Planungs- und Engineering-Software von Grund auf neu erstellt, oder durch eine Realitätsmodellierung mit vorhandenen Bedingungen erfasst – als immersive Umgebung neuen Wert bieten. Es ermöglicht, auf offene und in Echtzeit bereitgestellte Information zuzugreifen, um den Betrieb der Infrastrukturanlagen visuell darzustellen – und als Brückenglied zwischen ET, IT und OT. Mit dieser Sichtbarkeit entsteht die Möglichkeit, die Anlagenleistung zu verbessern.
Das digitale Unternehmen wird zur Realität.
Eine Going digital-Strategie beginnt mit der Informationstechnologie und strebt eine Konvergenz mit der Betriebstechnologie an. Damit würde eine Realisierung des digitalen Unternehmens die Einbindung der Engineeringtechnologie beinhalten, um die Konvergenz komplett zu machen. Going digital bedeutet für jedes Unternehmen etwas anderes. In unserer Branche können die Nutzer von Infrastruktur-Engineering von neuen Formfaktoren für die Verbindung und das Computing bei ihrer Nachverfolgung profitieren. Für viele unserer großen Benutzer ist die Strategie eine Gelegenheit, ihr Geschäftsmodell zu verbessern, um eine bessere Anlagenleistung zu erzielen und die Kosten von Kapitalprojekten zu reduzieren.
Eine effektive digitale Strategie kann Vorteile in allen Phasen des Lebenszyklus der Infrastruktur erbringen. In der CAPEX-Phase kann ein digitaler Workflow von einer besseren Entscheidungsfindung profitieren, mit immersiver Planung und Zusammenarbeit bei der Konstruktion. Für OPEX bietet der Wert der digitalen Engineering-Informationen Gelegenheiten zur Leistungsverbesserung für Eigentümer/Betreiber, die eine optimale Leistung ihrer Anlagen erzielen wollen. Der Kernwert ist die Reduzierung von TOTEX (Gesamtausgaben), weil die Eigentümer versuchen, das mit großen Kapitalprojekten und der laufenden Wartung verbundene Risiko zu verwalten und abzuschwächen. Eigentümer benötigen Informationen aus allen Phasen des Projektlebenszyklus, um sie nutzbringend für die Anlagenverwaltung oder Wartungsmanagementsysteme einzusetzen, wenn die Anlage die Übergabe erreicht, was durch eine digitale Strategie vollständig umsetzbar ist.
Für Ingenieure kann Going digital neue Geschäftsgelegenheiten bedeuten, wie beispielsweise das „Conceptioneering“, also die schnelle Erstellung mehrere Iterationen eines konzeptuellen Infrastrukturplanungsmodells mit Engineering-Inhalt zu Beginn eines Projekts, bis zum „Constructioneering“, dem Prozess, die Engineering-Daten direkt in die Praxis zu übernehmen, um die Arbeitsabläufe beim Bau und die Bauausrüstung zu verbessern, und dies sowohl während des Baus, als auch bei Beginn des Betriebs. Es kann auch ein „Inspectioneering“ bedeuten, das ist der Prozess, Realitätsraster von betriebenen und stetig vermessenen Anlagen in digitale Engineering-Umgebungen zu übernehmen, sodass die Ingenieure die Infrastrukturanlagen von jedem Standort aus überprüfen und bewerten können. Und schließlich geht es noch um das „Productioneering“, das ist der Prozess, das digitale Engineering-Modell mit offenen und in Echtzeit vorhandenen Verbindungen zu IT- und OT-Daten und einer prädiktiven Analyse zu nutzen – als immersive Umgebung für visuelle Operationen, Entscheidungsunterstützung und Leistungsverbesserung. All dies sind Beispiele für Going digital. Bentley bietet die Lösungen für unsere Anwender, dies zu realisieren.
Aidan Mercer, Industry Marketing Director AEC & Government BENTLEY für das BIM-Magazin der BIM World MUNICH