Munich 26–27 Nov 2025

Kiruna – eine Stadt in der Arktis muss umziehen, um nicht vom Erdboden verschluckt zu werden

Kiruna – eine Stadt in der Arktis muss umziehen, um nicht vom Erdboden verschluckt zu werden
Es ist nicht das erste Mal, dass eine Stadt in einer Bergbauregion umziehen muss. Die Umsiedlung in Kiruna ist jedoch die größte und komplexeste ihrer Art. Credit: Jessica Nildén

VON FRIEDERIKE VOIGT

Schwedens nördlichste Stadt zieht um, um nicht von einer unterirdischen Mine verschluckt zu werden. Das staatliche Bergbauunternehmen LKAB verlegt circa 30 bedeutende Gebäude aus der Altstadt von Kiruna an einen neuen Standort. Eine nie dagewesene Herausforderung, die den arktischen Stürmen trotzt.

Die Winter hier oben sind kalt und dunkel. Die arktischen Stürme machen das Leben zu einer frostigen Herausforderung. Im Kern, unterhalb der Erdschicht wird einem aber warm ums Herz – denn dort befinden sich unglaubliche Schätze: eines der reinsten Eisenerze auf diesem Globus. Sie waren der Grund dafür, dass die schwedische Stadt Kiruna im Jahr 1900 vom staatlichen Bergbauunternehmen LKAB gegründet wurde.

Mittlerweile befindet sich in Kiruna die weltweit größte unterirdische Eisenerzmine. Das Unternehmen LKAB deckt zudem 90 Prozent des Eisenerz-Marktes in der EU ab. Aller 24 Stunden werden Eisenmassen in der Größe von sechs Eiffeltürmen geborgen. Und zwei Drittel der Einwohner von Kiruna sind abhängig von der Bergbauindustrie. So viel zu den Zahlen.

Kiruna befindet sich oberhalb des nördlichen Polarkreises. Das dort herrschende Klima macht die Umsiedlung zu einer besonderen Herausforderung. Credit: White
Im Mittelpunkt der Umsiedlung steht der Mensch

Jetzt expandiert die Mine unterhalb der Stadt. Um die Stadt nicht zu zerstören, muss ein Teil von Kiruna umziehen. Zahlreiche Gebäude und ein Teil der knapp 23.000 Einwohner siedeln circa drei Kilometer gen Osten um. Aber wie zieht man eine Stadt um, ohne die historische und gesellschaftliche Identität zu verlieren?

Das schwedische Architekturbüro White hatte dafür die Antwort und gewann 2012 den ausgeschriebenen Architekturwettbewerb. „Uns war es wichtig, dass wir einen Sozialanthropologen im Team haben, der zwischen Einwohner und Architekten vermittelt. Einer, der dafür verantwortlich ist, dass die Stimme der Bevölkerung gehört wird“, so Krister Lindstedt, der leitende Architekt im Kiruna-Projekt von White. Mit diesem Konzept will White das Ziel von Kiruna erreichen: die weltweit „größte demokratische Transformation“.

Das staatliche Bergbauunternehmen LKAB will sich erweitern, sodass die Stadt weichen muss. Die Kosten für den Umzug übernimmt der Konzern. Credit: Iwan Baan

Die Stadtumsiedlung sehen viele als Chance für Kiruna. Eine Studie bestätigt sogar, dass 80 Prozent der Einwohner den Umzug unterstützen. Denn Ressourcen auf dieser Erde sind endlich – sollte das Erz eines Tages zu Ende gehen in Kiruna, möchte man gewappnet sein und schon jetzt auf andere Industrien wie den Tourismus setzen. Zudem fehlt es Kiruna an einem lebendigen Stadtkern. „Ziel ist es, ein attraktiveres neues Zentrum zu schaffen, das die Menschen in Kiruna zusammenbringt und Bezug nimmt auf die arktische Umgebung“, so Lindstedt.

Architektur, die auf das raue Klima antwortet

Das arktische Klima spielte bei der Planung des neuen Stadtteils eine bedeutende Rolle. Gebäude sollten so angeordnet sein, dass sie möglichst viel Tageslicht abbekommen, wenn die Sonne im Sommer flach am Horizont steht. Die arktischen Winde hingegen will man möglichst meiden und plant die Häuser so, dass es in Kiruna in Zukunft wenig „pfeifen“ wird. „Für die Wind- und Tageslicht-Simulationen haben wir die Autodesk Software CFD genutzt. Sie arbeitet mit der numerischen Strömungsmechanik“, so Lindstedt. Mit den Ergebnissen in der Hinterhand justierte White die Häuseranordnung so, dass möglichst viel Tageslicht in die Stadt fällt.

Der neue Stadtkern ist schon teilweise fertig. Erste Gebäude aus Holz sind bereits auf LKWs und mit Kränen umgezogen, wie der Glockenturm des alten Rathauses. Die Kirche von Kiruna, ein Wahrzeichen Schwedens, muss noch umsiedeln. Andere, neue Gebäude wie das neue Rathaus „The Crystal“ des dänischen Architekturbüros Henning Larsen stehen bereits.

Das alte Rathaus hingegen konnte nicht umziehen – es besteht aus Ziegelsteinen, sodass eine Umsiedlung aus finanziellen Gründen nicht möglich war. Teile des Gebäudes sind derzeit in dem Schwedischen Zentrum für Architektur und Design ArkDes ausgestellt – sie sollen später in dem neuen Stadtteil recycelt und in anderen Gebäuden verbaut werden.

Neben der Wiederverwendung von Materialien möchte die Stadt zukünftig die enormen Abwärmemengen, die durch die Bergbautätigkeiten entstehen, nutzen. Außerdem sollen Windturbinen installiert werden, um mit Hilfe des arktischen Windes Energie zu erzeugen. „In den frühen 2030er Jahren wird die Stadt umgezogen sein“, so Lindstedt. Statt zu verschwinden, würde Kiruna dann einen nie dagewesenen Aufschwung erleben, so der Architekt.

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Zahlreiche Küstenstädte werden in den kommenden Jahren vor einer ähnlichen Herausforderung stehen wie Kiruna. Durch den Anstieg des Meeresspiegels werden viele Menschen gezwungen sein, ihr Haus zu verlassen. Das Architektur- und Designmagazin dezeen ist deswegen überzeugt: „Die Stadt Kiruna könnte mit dem Umzug Vorbild für zahlreiche andere Städte sein.“

Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Redshift, einer Autodesk-Publikation, um Designer, Ingenieure, Architekten und Hersteller zu inspirieren. Haben Sie Lust auf mehr Inhalt? Abonnieren Sie den Redshift-Newsletter.