Im Rahmen des EU-Projekts „Smarter Together“ werden in München Lösungen für eine Smart City entwickelt. Lebensqualität, Wirtschaftlichkeit und nachhaltige Ressourcennutzung sollen von einer digitalen Stadt profitieren. Wie schlägt sich München auf dem Weg dorthin?
Als Bewohner der bayerischen Landeshauptstadt München darf man sich hin und wieder von sowohl Mitbürgern als auch kosmopolitischen Gästen anhören lassen, wie hübsch, aber unurban München doch sei. Es fehle an einer ordentlichen Subkultur, wie in Berlin oder London oder New York, und ja, auch das „Dreckige“ vermisse man. München sei zu sauber, zu brav, zu geschniegelt. So behaglich wie ein Dorf, nur in XL eben.
Wohltuend war es da, als München 2015 zusammen mit den Städten Lyon und Wien den Zuschlag von der Europäischen Union für das Projekt „Smarter Together“ bekam. Als Städtekonsortium hatte sich München im Zusammenschluss mit den beiden anderen am Projekt interessierten Städten für eine Förderung beworben – als eines von insgesamt 40 Konsortien, schildert Projektleiter Bernhard Klassen. In fünf Jahren Laufzeit sollten München, Lyon und Wien Konzepte einer Smart City entwickeln und diese in ausgewählten Stadtteilen umsetzen.
Was ist eine Smart City? – München als Labor für effizienteres, optimiertes Stadtleben
Kaum ein anderer Begriff wie der der Smart City ist so behaftet mit den Heilsversprechen einer intelligenten Stadtentwicklung, und so war einer der ersten Gedanken an München als Smart City: Die Zukunft ist da. Und die „nördlichste Stadt Italiens“, wie die Bayernmetropole von besonders stolzen Verfechtern der Urgemütlichkeit gern umschrieben wird, ist Vorreiter einer solchen Zukunft.
Der Begriff der Smart City klingt dabei verheißungsvoller, als er eigentlich ist, zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Darunter zu verstehen ist zunächst einmal das Ziel, eine Stadt zu optimieren und ihre Systeme effizienter zu machen, und zwar mithilfe von intelligenter Technologie und Daten. Ressourcennutzung soll nachhaltiger werden, die Lebensqualität höher, Wirtschaftlichkeit planbarer. „Wenn man bedenkt, dass im Jahr 2050 etwa 80 Prozent der Bevölkerung in Städten leben werden, brauchen wir dort erprobte Lösungen für Verkehr, Mobilität und Energie“, sagt Bernhard Klassen. „Sonst haben wir überhaupt keine Chance, Klimaziele in irgendeiner Weise zu erreichen.“
Antworten auf die Zukunftsfragen der Stadtentwicklung will auch die EU mit der „Smarter Together“-Initiative finden. Die drei Leuchtturmstädte München, Wien und Lyon funktionieren dabei als ein Raum, in dem Lösungen experimentiert werden, später auf andere Bezirke übertragen und im besten Fall überregional und international übernommen werden sollen. Als sogenannte Nachfolge- und Beobachterstädte sind Sofia, Venedig, Santiago de Compostela sowie Kiew und sogar Yokohama in Japan am Projektgeschehen beteiligt.
Die Umsetzung der Smarter Together-Konzepte in München wurde an den westlichen Stadtrand ausgelagert, nach Freiham und Neuaubing-Westkreuz. Während letzteres Bestands- und Sanierungsgebiet ist, entstand in Freiham über die vergangenen Jahre ein komplett neuer Stadtteil. Stierte man vor einiger Zeit aus dem Fenster der dort vorbeifahrenden S-Bahn, sah man noch fußballstadiengroße Brachflächen und Kräne. Heute stehen an dieser Stelle Wohnungen, Sportplätze, Schulzentren. Doch die Großbaustelle ist längst nicht verschwunden. Bis 2035 sollen hier 25.000 Menschen wohnen sowie weitere Büros und Freizeitangebote geschaffen werden.
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Nun stellt sich allerdings die Frage, warum ausgerechnet Randgebiete und Stadtviertel, die so groß sind, dass sie als eigene Kleinstadt gelten könnten, Münchens Experimentierfläche sind. Müsste eine Smart City nicht am Knotenpunkt der Stadt erprobt werden und dort ihren Anfang finden, wo Leben und Wohnen am dichtesten sind und die Infrastruktur kulminiert? „Wir wollten gezielt Informationen über die Außenbezirke der Stadt sammeln“, so Klassen. „Die Erkenntnisse, die wir hier gewinnen, werden mit großer Wahrscheinlichkeit auch auf Stadtbezirke außerhalb von Hamburg, Köln, Augsburg oder Rosenheim übertragbar sein.“ Oder auf Kleinstädte, deren Bedürfnis nach Fortschritt oft angesichts zielstrebiger großstädtischer Projekte untergeht.
Auch ist „Smarter Together“ nur eines von mehreren Projekten, mit denen München einer digitalisierten und damit nachhaltigen Stadt näherrücken möchte. Im Stadtteil Schwabing läuft mit Civitas Eccentric ein weiteres EU-Projekt zum Thema Mobilität. Der Norden der Stadt, wo auf 79 Quadratkilometer knapp 250000 Einwohner leben, setzt auf eine Ökonomie des Teilens mit Elektrofahrzeugen und den Ansatz, mit intelligentem Mobilitätsmanagement die Parkknappheit zu entspannen und das hohe Autoaufkommen zu minimieren. „Smarter Together“, „Civitas Eccentric“ und mit ihnen die involvierten Stadtteile – sie sind Teil eines großen Ganzen auf dem Weg zum Besseren, zumindest ist es das, was sich die Beteiligten, und das sind eine Menge, davon versprechen.
Smarte Lösungen: Mobilitätsstationen, Quartiersboxen, intelligente Lichtmasten
6,85 Millionen Euro von der EU bereitgestellte Fördermittel fließen in die Smarter Together-Maßnahmen in München, insgesamt werden bis Anfang 2021 rund 20 Millionen Euro investiert. Bislang realisiert wurden solche, die sich der Mobilität, Technologie und Energie unterordnen. So gibt es zum Beispiel Mobilitätsstationen unweit der S-Bahnhaltestellen Neuaubing, Westkreuz und Freiham. E-Bikes und lastenfähige E-Dreiräder der Münchner Verkehrsgesellschaft parken neben Ladestationen für E-Autos. Sogenannte Quartiersboxen sollen den Bewohnern den zusätzlichen Weg zum Supermarkt ersparen. Ein Kurier verstaut via Smartphone bestellte Lebensmittel in unterschiedlich temperierten Fächern, und der Kunde holt sie flexibel mit einem ihm bereitgestellten Code ab.
Sobald es dämmert, flackern die Straßenlaternen auf, eine Selbstverständlichkeit in einer Stadt, deren Gehwege nahezu ständig voller Menschen sind. Straßenbeleuchtung clever zu steuern, sodass weniger Energie verbraucht wird, ist eine weitere Aufgabe des Projektteams um Bernhard Klassen. Das simple Wort „Straßenlaterne“ ist daher eine eher verunglimpfende Bezeichnung, Experten hören sie ungern in diesem Zusammenhang. Wolfgang Glock ist ein solcher Experte – und IT-Stratege bei der Stadt München. Er leitet den Bereich Open-Government und Smart City und war an der Entwicklung der intelligenten Lichtmasten beteiligt. 60 davon sind im Projektgebiet installiert, sowohl an Gehwegen und in Grünanlagen, als auch an stark befahrenen Straßen wie der Bodenseestraße, der Aorta, die sich von München-Pasing über Neuaubing bis nach Freiham zieht.
Die Lichtmasten sind adaptive Beleuchtung, WLAN-Hotspot und potentielle Parkraumsonden zugleich. Sie sollen freie Parkkapazitäten registrieren, die über das WLAN einzusehen sind. Und: „Sie können Sensordaten ermitteln, also Umweltdaten wie zum Beispiel Luftfeuchte und Temperatur, aber auch Schadstoffe wie Stickoxide oder Feinstaub“, sagt Glock. Über das verfügbare WLAN bestehe die Möglichkeit, auf diese Daten zuzugreifen. „Natürlich ist es wichtig, dass wir da auf den Datenschutz achten“, ergänzt er. Die Bürger seien in Diskussionen um neue Entwicklungen und Technologien einbezogen, dafür gibt es seit Projektbeginn die Stadtteillabore der Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung.
So waren sich die Teilnehmer eines Workshops im Stadtteillabor einig, dass die Sensoren weder Gesichter noch Autokennzeichen erfassen und ausschließlich auf den öffentlichen Raum gerichtet sein dürften, keinesfalls in private Vorgärten oder Häuser. Nur im Austausch mit den Bewohnern entstanden diejenigen Lösungen, die bislang realisiert wurden. Dazu gehören auch die „Smart Home Starterpakete“, die 2017 erstmals an Privathaushalte verteilt wurden. Das sind Boxen mit integrierten Sensoren, die wie die Lichtmasten Daten zur Temperatur und Luftfeuchtigkeit in den Wohnungen messen und mit einer Datenplattform vernetzt sind. „Insgesamt sind die Smart Home Boxen allerdings nicht so gut angekommen“, kommentiert Klassen. „Das ist eine Erkenntnis, von der wir mitnehmen: Gut, daran müssen wir noch arbeiten.“
All diese Maßnahmen sollen gebündelt dabei helfen, mehr als 20 Prozent CO₂ einzusparen. Ohnehin leuchtet die Zahl 20 beim Münchner Smarter Together-Projekt über allem Tun und Denken. So sollen mehr als 20 Prozent erneuerbare Energien genutzt und die Energieeffizienz um mehr als 20 Prozent gesteigert werden. Bis 2050 will München im Projektgebiet sogar CO₂-Neutralität erreichen. Was lässt sich für diese Ambitionen aus der Bilanz nach fünf Jahren und einer damit fast abgelaufenen Projektlaufzeit schlussfolgern?
„Momentan sind wir noch in der Evaluierungs- und Monitoringphase“, sagt Bernhard Klassen. „Aber die nächsten Schritte werden sein, Stadtteile in München und darüber hinaus zu finden, in denen die getesteten Lösungen umgesetzt werden können.“ Es gehe um Adaptierbarkeit und Replikation – anders gesagt um das „Schneeballsystem“, wie Klassen es nennt. Als Leuchtturmstadt habe man eine Strahlkraft nach außen. Wissen und Erfahrung müssen geteilt werden.
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Redshift, einer Autodesk-Publikation, um Designer, Ingenieure, Architekten und Hersteller zu inspirieren. Haben Sie Lust auf mehr Inhalt? Abonnieren Sie den Redshift-Newsletter.